Viele Pferdebesitzer erleben, dass ihr Pferd gestresst, überempfindlich oder abgeneigt reagieren kann. All diese Situationen sind grundsätzlich unerwünscht und potenziell sogar gefährlich. Es kann jedoch ein Hinweis darauf sein, dass das Wohlergehen des Pferdes grundsätzlich beeinträchtigt ist. Wenn es sich um einen dauerhaften Zustand handelt, sollte das Pferd überprüft werden.
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Es gibt viele potenzielle Ursachen für Stress, Überempfindlichkeit und Abneigung bei Pferden. Und es besteht kein Zweifel daran, dass Faktoren wie Trainingsmethoden sowie das Verständnis für Pferdeverhalten und Lernen eine große Rolle spielen.
Ein weiterer, weniger bekannter Faktor ist, wie physische Herausforderungen im Körper des Pferdes direkte Ursachen für Verhaltens- und Trainingsprobleme bei unseren Pferden sein können. Es gibt mehrere Gründe für diesen Zusammenhang, und diese werden wir in diesem Artikel genauer betrachten.
Bettina Hvidemose Riisberg führt das Unternehmen "Center for Tiertherapie", in dem sie unter anderem Verhaltenstraining und Physiotherapie für Pferde und Hunde unterrichtet. Das Wissen über das Verhalten und das Lernen von Tieren bildet die Grundlage für den Großteil von Bettinas Arbeit, die auch physiotherapeutische Behandlungen, Rehabilitation und Osteopathie für Pferde und Hunde umfasst.
Von Natur aus ist das Pferd ein Beute- und Herdentier. Als Beutetier steht es am unteren Ende der Nahrungskette. Daher kann Schwäche zu zeigen dazu führen, dass es in bestimmten Situationen nicht überlebt, zumindest in den Augen des Pferdes.
Gleichzeitig ist es wichtig, dass man innerhalb der Herde keine Anzeichen von Schmerzen zeigt. Dies kann die Fluchtmöglichkeit behindern und die gesamte Herde anfälliger für einen Angriff machen. Im schlimmsten Fall könnte dies dazu führen, dass das Pferd aus der Herde ausgestoßen wird und nicht überlebt.
Das Pferd verfügt über einen unbewussten Mechanismus, der dazu führt, dass es Stresshormone freisetzt, wenn es Schmerzen hat. Diese Stresshormone haben eine schmerzlindernde Wirkung, und daher kann das Pferd Stress in gewissem Maße als schmerzlindernde Methode nutzen.
Dies ist der Hintergrund dafür, dass Stress, Angst, Aggression, Überempfindlichkeit und viele andere Verhaltensprobleme mehr mit dem physischen Zustand des Pferdes zu tun haben können als mit dem Training.
Wenn sich das Verhalten des Pferdes ändert oder "unerklärliche" Trainingsschwierigkeiten auftreten, ist es daher immer eine gute Idee, das Pferd gründlich von einem Tierarzt untersuchen zu lassen. Es kann auch sinnvoll sein, die Arbeit des Tierarztes durch den Besuch eines Physiotherapeuten zu ergänzen.
Der Nervus Vagus, auch bekannt als "vagus" oder "vagaler Nerv", ist der zehnte Hirnnerv und wird als "der wandernde Nerv" bezeichnet. Dieser Nerv entspringt aus dem Schädel des Pferdes und verläuft durch den gesamten Körper. Von dort aus sendet er sogenannte "parasympathische Signale" an viele verschiedene Strukturen.
Parasympathisch bedeutet, dass es sich um Signale handelt, die herunterregulieren, entspannen und/oder Funktionen reduzieren. Damit das Pferd sich entspannen und sich in Stressreaktionen selbst bremsen kann, ist es notwendig, dass alles um diesen Nerv optimal funktioniert.
Der Nerv verläuft durch Bereiche, die leicht verspannen können, wie den Hals des Pferdes, den Eingang zur Brusthöhle und das Zwerchfell, das die Brusthöhle von der Bauchhöhle trennt und an der Atmung beteiligt ist. Verspannungen in diesen Strukturen, den damit verbundenen Muskeln und vor allem im Bindegewebe können alle die Signalübertragung im Nerv beeinflussen und somit die Entspannungsfähigkeit des Körpers reduzieren.
Dies ist einer der Gründe, warum es auch sinnvoll sein kann, dass ein gestresstes Pferd von einem auf Pferde spezialisierte Physiotherapeuten oder einem ähnlichen Fachmann untersucht wird. Jemand, der mit den verschiedenen Strukturen des Pferdekörpers arbeitet, und Entspannungstechniken anwenden kann.
Der Schädel des Pferdes besteht aus 34 verschiedenen Knochen, die durch sogenannte "Suturen" miteinander verbunden sind. Eine Sutur ist eine Gelenklinie im Schädel, an der zwei Schädelknochen aufeinandertreffen. Es sollte etwas Flexibilität/Nachgiebigkeit in diesen Suturen vorhanden sein. Ein gesunder Schädel sollte leicht beweglich sein.
In der Mitte des Schädels des Pferdes befindet sich eine sehr spezielle Sutur, die wir normalerweise als SO-Gelenk bezeichnen. SO steht für spheno-occipital. Es handelt sich also um eine Sutur zwischen den beiden Schädelknochen Os sphenoidale und Os occipitale.
Es gibt zwei besondere Merkmale dieses Gelenks, die in diesem Zusammenhang wichtig sind.
Das SO-Gelenk ist das erste Gelenk im Schädel, das sich in dem Prozess bewegen muss, in dem der Schädel nachgeben können soll.
Die Bewegung entsteht durch Druckveränderungen in den Hohlräumen des Gehirns. Diese werden durch eine konstante Produktion und Regulierung der "Zerebrospinalflüssigkeit" verursacht, die das Gehirn und das Rückenmark des Pferdes umgibt.
Wenn es keine optimale Nachgiebigkeit in diesem Gelenk gibt, kann dies die gesamte Beweglichkeit des Schädels in negativer Weise beeinflussen. Es wird somit das gesamte System um den Schädel und das Rückenmark beeinflussen, was zu Verspannungen, Unbehagen und potenziellen Kopfschmerzen führt.
Die zweite wichtige Eigenschaft ist, dass die Hypophyse des Pferdes - eine kleine hormonregulierende Drüse - direkt über der Sutur liegt. Wenn es Verspannungen, Ungleichgewichte oder ähnliches gibt, kann dies die Signalübertragung und damit die Regulierung der Drüse beeinflussen. Dies kann sich auf das Gleichgewicht verschiedener Hormontypen auswirken, einschließlich Stresshormone und Sexualhormone.
Diese Mechanismen sind Teil der Arbeit in der Kraniosakraltherapie. Es handelt sich um sehr kleine Ungleichgewichte, die jedoch eine enorme Bedeutung für das Pferd haben können. Daher kann die Entspannung durch die Kraniosakraltherapie auch ein möglicher Schlüssel sein, um dem gestressten Pferd zu helfen.
Das Reaktionsmuster des Pferdes kann auch durch gewöhnliche Verspannungen und Einschränkungen im Körper beeinflusst werden.
Genau wie beim Menschen können sich auch bei Pferden Verspannungen im Körper bilden. Pferde sind in der Regel sehr aktiv und werden beim Reiten und im Training unter anderem durch Ausrüstung, Reiter, Hufbeschlag, und sogar Ernährung beeinflusst. Das bedeutet, dass es viele Möglichkeiten gibt, wie Verspannungen und dadurch Schmerzen oder Schonhaltung entstehen können, die bestimmte Bewegungen unangenehm machen.
Dies kann der Grund dafür sein, dass das Pferd bestimmte Übungen oder bestimmte Situationen ablehnt. Auch hier können Fachleute, die sich auf die Entspannung sowie die Bewegung und physische Gesundheit des Pferdes spezialisiert haben, einen Unterschied machen. Bei Verdacht auf Schmerzen, ist es jederzeit ratsam einen Tierarzt, Hufschmied und anschließend einen Physiotherapeuten zu konsultieren.
Natürlich gibt es viele andere Faktoren, die das Stressniveau des Pferdes beeinflussen. Allerdings spielt die körperliche Verfassung dabei oft eine entscheidende Rolle.
Daher ist es wichtig in Betracht zu ziehen, das Pferd und seine körperliche Verfassung zu kontrollieren, wenn es sich nicht wie gewohnt verhält oder in bestimmten Situationen eine extreme Reaktion zeigt.
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